Naschmarkt by Anna Koschka

Naschmarkt by Anna Koschka

Autor:Anna Koschka [Koschka, Anna]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


»Dotti? Alles in Ordnung?«

Ich lese den Zettel zum dritten Mal und schüttle verwirrt den Kopf. Ist das nun ein Date? Dafür ist die Zeit- und Ortsangabe reichlich vage. Er wird doch wohl nicht den ganzen nächsten Mittwochvormittag auf mich warten. Bloß, wenn es kein Date ist, was ist es dann?

Stellas Idee der Geocaching-Schnitzeljagd fällt mir ein. Spielt djfleming ein Spiel mit mir?

»Annili, es war wirklich nett, mit Ihnen zu plaudern, aber ich sollte jetzt gehen.«

Ich lege den Schuh genau so zurück, wie ich ihn gefunden habe und stecke, nach kurzem Zögern, auch den Zettel wieder hinein. Die Prämisse war falsch. Ich bin mir sicher, dass djfleming nur jemand mit einer guten Masche ist. Bestimmt tappen literarisch interessierte Frauen leicht in die Falle, wenn ihnen ein bisschen Abenteuer versprochen wird. Handschriftliche Notizen an entlegenen Plätzen, Radiobotschaften mit Hinweisen – soll der Herr doch seine Kunst bei der nächsten gutgläubigen Userin von Literally in Love einsetzen. Ich für meinen Teil bin und bleibe ein waschechtes Mauerblümchen.

Ich kehre dem Betonplatz den Rücken zu, mache einen Schritt in die Richtung, aus der ich gekommen bin, und nicke Annili zum Abschied zu, als es passiert. Orange zerrt an ihrer Leine, läuft mir genau vor die Füße, und bei dem Versuch, ihr auszuweichen, trete ich in einen Spalt im Boden, bleibe mit dem Schuh stecken und knicke um. Ehe ich mich wieder fangen kann, sitze ich auf meinen vier Buchstaben und starre in zwei riesige, erstaunte Hundeaugen.

»Dotti, um Himmels willen!«, ruft Annili. »Es tut mir furchtbar leid. Orange ist Ihnen genau vor die Füße gelaufen.«

»Schon gut«, antworte ich, rapple mich hoch und zerre meinen Schuh aus dem Spalt. Als ich ihn wieder auf den Boden setze, beiße ich mir vor Schmerz auf die Lippen. Der Fuß scheint nicht gebrochen zu sein, ist aber böse verknackst. Ich kann nur sehr vorsichtig auftreten, jede Bewegung schmerzt. Es wird ganz schön mühsam werden, auf diese Art zurück zur Busstation zu humpeln. Doch das ist es nicht, was mir momentan die größten Sorgen bereitet.

»Der Kompass«, flüstere ich.

Was für ein absurder Gedanke, versuche ich mich selbst zu beruhigen. Als könnte eine verschollene Uhr dazu führen, dass einem schlimme Dinge zustoßen. Totaler Blödsinn. Es war einfach Pech. Pechmarie. Oder eine Verkettung unglücklicher Umstände. Auf jeden Fall hat es nichts mit meiner Entscheidung zu tun, djfleming zu ignorieren.

Wirklich nicht? Das Kopfkino spielt die Galapremiere eines ganz anderen Films: Ich sehe meine Wohnung unter Wasser stehen, meine Bücher in Flammen aufgehen, Pohl, der mir mit ernster Miene erklärt, dass ich gefeuert bin, und mich meinen neuen Arbeitsplatz an der Supermarktkasse antreten. Ich bin mir sicher, wenn ich den Film zu Ende schaue, werde ich wie der geizige Mister Scrooge bei Charles Dickens mein eigenes Begräbnis zu sehen bekommen. In HD mit Dolby Surround Sound. »Nach langem Leiden verstorben an einer extrem seltenen Krankheit aufgrund fataler Fehlentscheidungen im Leben«, wird in der Todesanzeige stehen.

Ich muss ziemlich verstört dreinschauen, denn Annili legt fürsorglich einen Arm um meine Schulter und ihre Hand an meine Wange.

»Das wird schon, Dotti.



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